In Österreich-Schlesien brauste erstmalig am 17.12.1855 ein Dampfross der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn von Schönbrunn kommend nach Troppau.[1] Doch wie war es, als sich das Bahnnetz in den folgenden Jahren entfaltete. Versetzen wir uns in das Jahr 1872 zum Tage des 29. September: Die Menge am Troppauer Bahnhof reckt ihre Hälse in Richtung der weißen Wölkchen, die hinter den Bäumen den heranrollenden Train ankündigen – ja wirklich, man spricht von einem Train, kommt doch diese Erfindung aus England. Und heute findet die Eröffnung der Mährisch-Schlesischen Centralbahn statt. Der Sonderberichterstatter der Troppauer Zeitung wird anderntags in seinem Bericht vermuten, dass der noch etwas „provisorische Charakter“ manchem Fahrgast „Unbehaglichkeit eingeflößt habe.“ Doch sei die Fahrt ohne „gefürchtete Stöße und Schwankungen“ verlaufen. Als man in den „schönen Morgen“ gefahren sei, haben Neugierige an der Strecke ein „buntes Spalier“ gebildet und Kühe hätten erst verwundert geschaut und seien dann unelegant davongaloppiert.
Nach einem ersten Halt in Skrochwitz erreicht man Jägerndorf. Hier fährt man ein durch einen Triumphbogen mit der Aufschrift: „Durch Fortschritt zur Kultur.“ Fahnen fliegen, „Pöllerschüsse“ knallen, ein Festchor singt, Jauchzer sind zu hören, Reden werden gehalten und die Volkshymne (= Öster. Kaiserhymne) wird gesungen. Sprich, die ganze Herrlichkeit einer technikgläubigen k. und k. Gesellschaft wartet auf. Danach darf sich die Allgemeinheit an einem Buffet gütlich tun bis die Verdauungszigarren erglimmen.[2] Dies war der gelungene Auftakt zum Ausbau des Bahnverkehrs zwischen den Kreisen Jägerndorf, Bärn, Römerstadt, Sternberg, Freudenthal und Troppau. Zunächst handelte es sich bei der Eisenbahn um einen Transportweg vorwiegend für Güter, aber bald wurden auf Wunsch vieler Gemeinden zahlreiche Haltestellen eingerichtet. Die Ortschaften mussten jedoch finanziell dafür aufkommen. So kam auch ein früher Tourismus in Gange. 1928 war dieser so groß geworden, dass die Gemeinde Lobenstein Erlaubniskarten für anreisende Beerenpflücker ausgab, da sich selbst noch Leute aus Ostrau auf den Weg in den Gemeindewald machten.[3]
Doch folgen wir weiter der Eröffnungsfahrt. Nach dem Buffet fahren noch einige Sondergäste weiter. Das Endziel ist Schloss Hennersdorf. Der Freiherr von Klein hat geladen. Man „durchfliegt“ das „Oppathal“. Die Strecke Jägerndorf-Olbersdorf bewältigt man in nicht gekannten 15 Minuten![4] Bei der Familie Klein handelt es sich um Industrieadel. Sie besitzt Eisenwerke in Zöptau und Stefanau, ist beteiligt am Bau von zahlreichen Bahnlinien im habsburgischen Reich (z.B. Semmering, siebenbürgische Bahn) und sogar an der Regulierung des Tibers wirkt sie mit.[5]
Im Schloss angekommen, wird den Gästen ein beeindruckendes Dinner serviert. Die Speisefolge ist so exotisch, dass beim Setzen der Lettern des späteren Zeitungsberichts ein paar Fehler unterlaufen werden. So wird aus einer Suppe, die vermutlich nach dem Erfinder der Dampfmaschine James Watt benannt ist, eine „Potage à la James Waad“ und der Sahnepudding wird zum „Boudding à la Chantilly“. Der Verdauungspunch aus Citrussaft, welchen man nach Kaviar, Sardinen, Zander, Rheinlachs und Rinderfilet reicht, wird mit dem spanischen Wort „Ponche“ bezeichnet werden, was nicht so recht zum folgenden französischen „à la romaine“ passen will. Aber zumindest ist der Verdauungstrunk sicher nötig, den es folgen noch Gänge mit Hähnchen, Hummer in Mayonnaise-Sauce, ummanteltem Fasan, steirischem Kapaun, dem erwähnten Pudding, Kompott, Eis und zum Abschluss ein „Dessert“. Kein Wunder, dass man danach freudig mit dem Champagner zahlreiche Toste auf den Gastgeber und den Fortschritt ausbringt![6]
Zwar wächst das Eisenbahnwesen in den folgenden Jahren. So kann man laut Fahrplan 1882 von Olmütz nach Troppau in fünf Stunden gelangen.[7] Amüsant ist auch ein damals üblicher Hinweis, wenn man die Reisezeiten in den Tageszeitungen veröffentlicht: „Die Verkehrszeiten der Züge sind in mitteleuropäischer Zeit ausgedrückt, welche in Troppau die Ortszeit ist.“[8] Den verkehrstechnischen Fortschritt der Zeit sieht man an der Mährischen Grenzbahn (einer weiteren Privatbahn, welche am 11.9.1871 eröffnet wird und zwischen Sternberg, Mährisch-Schönberg und Lichtenau verkehrt), sie hat 1882 einen Fuhrpark von 22 Lokomotiven, 62 Personenwagen und 408 Güterwagen.[9] Doch macht die Centralbahn ihren Aktionären Sorgen. Um die „finanzielle Leidensgeschichte“ zu beenden, muss sie zum 1. Jänner 1894 verstaatlicht werden.[10]
Aber zurück zum Dinner. Ein geschmückter „Kondukteur“ tritt auf und meldet den „Train“. Es geht zurück nach Jägerndorf. Als man einfährt, ist es dunkel. Wieder jubelt die Menge auf der Festwiese und am Bahnhof. Dieser ist von vielen Flammen erhellt und bunte Raketenlichter begrüßen den Zug. Dort angekommen löst sich die Festgesellschaft auf.[11] Eine weitere Eisenbahnlinie entsteht ab 1885 mit der Österreichischen Lokaleisenbahn. Sie schließt in Hannsdorf an die Grenzbahn an und führt über Freiwaldau später bis nach Ziegenhals.[12] 1898 kommt die Lokalbahn zwischen Hotzenplotz und Röwersdorf durch die Österreichischen Staatsbahn hinzu.[13] Sie ist die letzte staatliche Schmalspurbahn, die bis heute betrieben wird.
- [1] Freudentbaler Landchen. Geschichts- und Sittenbilder aus alter und neuer Zeit zur Vertiefung der Heimatliebe und für Heimatkunst, Band 2, Ausgabe 9, September 1922, S. 66
- [2] Troppauer Zeitung 30.9.1872
- [3] Reichel, Gustav und Paliege, Emil: Gedenkbuch der Gemeinde Lobenstein 1924, S. 108-109
- [4] Troppauer Zeitung 1.10.1872
- [5] Brünner Zeitung 9.12.1882 und Notizen des Vereins für die Geschichte Mährens und Schlesiens, Nr. 6, 1890
- [6] Troppauer Zeitung 1.10.1872
- [7] Troppauer Zeitung 16.5.1882
- [8] Troppauer Zeitung 1.1.1895
- [9] Troppauer Zeitung 4.6.1893
- [10] Troppauer Zeitung 24.6.1893, 28.12.1894
- [11] Troppauer Zeitung 1.10.1872
- [12] Reichsgesetzblatt für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder vom 2. Mai 1885, S. 149
- [13] Pavel Schreier, Zrození železnic v Čechách, na Moravě a ve Slezsku, Baset 2004, S. 243